Wandern in Spaniens Süden
Begegnungen an der Costa de la Luz
Die Costa de la Luz am südlichsten Zipfel Spaniens ist für ihre kilometerlangen, oft noch unverbauten Atlantikstrände bekannt. Doch sie ist viel mehr als das. Wanderungen an der Steilküste und im Hinterland offenbaren spektakuläre Aussichten und eine große Artenvielfalt. In maurisch geprägten Städtchen lassen sich – vor allem außerhalb der Hauptsaison – stilvolle Tavernen und stille Patios entdecken. Und sogar Liebhaber zeitgenössische Kunst kommen im Skulpturenpark NMAC zwischen Pinien, Korkeichen und ehemaligen Militärbaracken auf ihre Kosten.
Tarifa: Am südlichsten Punkt Europas
Tarifa ist ein Ort der Extreme: Wind, Weite, Wasser. Nur 14 Kilometer Luftlinie trennen die andalusische Kleinstadt vom afrikanischen Kontinent. Afrika scheint zum Greifen nah.
Die Altstadt von Tarifa ist maurisch geprägt, mit weißen Häusern, flachen Dächern, dicken Mauern. Durch das Stadttor Puerta de Jerez gelangt man direkt ins historische Zentrum mit Bars, Hostels, Modegeschäften und Surfercafés. Im Sommer wird Tarifa zum Mekka der Windsurfer und Kitesurfer – bei bis zu 300 windreichen Tagen im Jahr gilt es als einer der besten Spots Europas. Außerhalb der Saison ist es ruhiger, so dass mehr Muße für Begegnungen bleibt. Nordafrikanische Einflüsse zeigen sich nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Küche, auf Märkten, in der Musik. Diese Mischung prägt den Charakter der Stadt – offen, bunt, international.
Wanderungen in Naturparks
Die Berge im Hinterland der Costa de la Luz steigen auf über 1.000 Meter an. In den Naturparks haben sich Korkeichen, Lorbeer- und Eichenwälder erhalten. Steile Klippen, verborgene Flusstäler und weite Ausblicke bis nach Afrika machen sowohl moderate Spaziergänge als auch alpine Wanderungen zu Erlebnissen.
Victor Porras ist Biologe, Wanderführer, Ornithologe. Er lebt in Tarifa, kennt die Region seit Jahrzehnten – und weiß, wo sie besonders vielfältig ist.
Eine kleine, aber eindrucksvolle Tour führt über 7,1 km auf dem „Sendero del Acantilado“ durch den Naturpark „Klippen von Barbate“, von der Playa de la Yerbabuena über die Steilküste von Barbate bis nach Los Caños de Meca. Steile Klippen aus Massenkalk, bis zu 100 Meter über dem Meer, Pinienwälder und grandiose Ausblicke über die Bucht prägen den Weg. Die Pinien wurden vor mehr als hundert Jahren aufgeforstet – heute sind sie Teil eines fragilen Ökosystems. Etwa auf halber Strecke steht der einstige Wachturm Torre del Tajo aus dem 16. Jahrhundert. Er war Teil einer ganzen Kette solcher Türme, mit denen per Rauchsignal vor allem vor Piraten gewarnt wurde.
Waldbrände
Im August 2025 kam es in Spanien zu verheerenden Waldbränden. Auch in der Nähe von Tarifa hat es gebrannt. Die hier beschriebenen Wandertouren liegen außerhalb der betroffenen Gebiete und waren bei Redaktionsschluss uneingeschränkt zugänglich. Wanderer sollten jedoch sehr vorsichtig sein und sich bei Brandgefahr vor dem Aufbruch informieren und Sperrungen beachten. Rauchen und offenes Feuer sind im Wald selbstverständlich tabu.
Eine zweite Wanderung bietet einen Einblick in die Artenvielfalt im Naturpark Los Alcornocales. Sie startet am Ausgangspunkt „Puerto de Ahumada“. Man erreicht ihn, wenn man von der N340 etwas auf halbem Weg zwischen Tarifa und Algeciras in das Dorf El Cuarton abbiegt. Der Weg führt in das Flussbett des Guadalmesi. Rund sieben Kilometer geht es entlang des Baches, flankiert von endemischer Flora und einer geradezu überbordenden Vogelwelt. Neben dem Bach zwitschern Sommergoldhähnchen, Gartenbaumläufer und der Mosquitero Ibérico, ein nur hier vorkommender Zilpzalp. Victor kennt sie alle – auch die weniger auffälligen. „Hier leben etwa 100 Vogelarten“, sagt er, „dazu Nutrias, Schlangen, sogar Ginsterkatzen und Buschteufel. Die Artenvielfalt ist wirklich außergewöhnlich.“ Seine Begeisterung ist ansteckend – und sein Wissen über Zusammenhänge zwischen Lebensräumen, Migration und Schutzgebieten scheint unerschöpflich.
Attraktiv für Birding Tours
Besonders attraktiv ist die Küste für Vogelfreunde aus aller Welt, weil hier eine der Hauptrouten des Vogelzugs verläuft. Birding Tours sind mittlerweile ein fester Bestandteil des touristischen Angebots. Der rund 800 Meter hohe Berg Jbel Moussa auf der algerischen Seite der Straße von Gibraltar ist gut zu erkennen. Viele Greifvögel nutzen die Aufwinde an diesem Berg, um die Meerenge zu überqueren. Victor dokumentiert den Vogelzug regelmäßig zusammen mit seinen Kollegen.
„Letztens haben wir in drei Stunden 24.000 Wespenbussarde gezählt, die die Straße von Gibraltar überquert haben. Das sind grandiose Erlebnisse. Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen, als draußen zu sein und anderen Menschen die Vielfalt und Schönheit der Natur hier zu vermitteln.“
Victor Porras, Biologe und Wanderführer
www.birdingtarifa.es
Auch die Altstadt von Tarifa hält eine Überraschung für Vogelfreunde bereit. Auf dem Turm der Kirche San Mateo nistet eine große Kolonie von Rötelfalken. Bereitwillig führen die eleganten, rötlich schimmernden Falken ihre Flugkünste vor, die Sonne schimmert durch die weißen Flügelspitzen. „Der da war vor drei Monaten noch im Senegal“, erzählt Victor. Naturschützer haben die Ansiedlung der Rötelfalken durch Nisthilfen unterstützt und die Tiere mit einem Chip versehen.
Windkraft und Vogelzug: Überwachung in Echtzeit
Der stetige und starke Wind macht die Bergzüge zwischen Tarifa und Barbate zu einem hochattraktiven Standort für Windkrafträder. Gleichzeitig überqueren hier jedes Jahr Millionen Zugvögel die Straße von Gibraltar. Viele Betreiber von Windkraftanlagen engagieren daher Mitarbeiter, die über Radare und Ferngläser Zugbewegungen beobachten. Bei Gefahr für bestimmte Arten – etwa bei starkem Kranich- oder Greifvogelzug – werden die Windräder gezielt abgeschaltet. Zur Vogelzugsaison auch mehrmals am Tag. „Der Vogelschlag konnte so um bis zu 80 Prozent reduziert werden“, berichtet Victor. Dieses Monitoring gilt mittlerweile als Modellprojekt. Für die Unternehmen lohnt es sich: So vermeiden sie nicht nur Imageschäden, sondern auch hohe Strafzahlungen bei Vogelschlag. Für einen einzelnen Geier können mehrere Tausend Euro fällig werden, berichtet Victor.
Maurisches Erbe in Vejer de la Frontera
Der Süden Andalusiens wurde erst im späten Mittelalter nach rund 700 Jahren maurischer Herrschaft von Christen erobert. Viele Ortsnamen hier verweisen durch den Zusatz „de la Frontera“ auf die ehemalige Grenze zwischen christlichem und muslimischem Einflussgebiet. In Orten wie Vejer de la Frontera lassen sich noch deutlich arabische Bautraditionen erkennen.
Vejer de la Frontera liegt auf einem Hügel rund zehn Kilometer von der Küste entfernt. Die Burg und Teile der Stadtmauer stammen noch aus maurischer Zeit. Dazwischen drängen sich weiß gekälkte Häuser, verbunden durch ein Gewirr steiler Gassen. Der Ort zählt zu den berühmten „Weißen Dörfern“ Andalusiens und ist ein beliebtes Ziel für Tagesausflüge. In der Nebensaison ist jedoch weniger los, man kommt ins Gespräch. Zum Beispiel mit dem Taxifahrer José Montaña Castrillón, von allen nur „Pepote“ genannt. Seit Jahrzehnten fährt er Gäste durch die Region – und ist es bis heute nicht leid. Im Gegenteil: Stolz weist er auf Tausende Facebook-Freude aus aller Welt.
NMAC: Kunst zwischen Steineichen und Pinien
Ein paar Minuten außerhalb von Vejer liegt die Stiftung Montenmedio Contemporaneo (NMAC), ein Skulpturenpark für zeitgenössische Kunst in der Dehesa Montenmedio. Der Wald mit Pinien, Steineichen und steilen Felswänden ist an sich schon ein lohnendes Ziel. Ein Spaziergang in diesem Gelände verzaubert auch Menschen, die sonst wenig mit zeitgenössischer Kunst anzufangen wissen. Besondere Angebote wie zum Beispiel Vollmondführungen, Performances oder Lichtinstallationen am besten früh genug online buchen.
Seit 2003 lädt die privat geführte Stiftung Kreative aus aller Welt ein, vor Ort Werke zu schaffen, die etwas mit der Umgebung zu tun haben. Viele Arbeiten sind in die Landschaft integriert – von verspiegelten Wänden bis zu unterirdischen Installationen in ehemaligen Militärbaracken. Begleitet von Vogelstimmen, Windgeräuschen und Piniendurft entdecken Besucher hier ein begrabenes Reiterstandbild, dort einen riesigen Frauenschuh, woanders eine mystische Porzellanbrücke. Ein eindrucksvolles Beispiel ist „Second Wind“ von James Turrell, ein begehbarer Licht- und Raumkörper, der durch einen schmalen Tunnel betreten wird. Im Innern entfaltet sich eine fast spirituelle Erfahrung aus Geometrie, Licht und Klang.
Kunstwerke von Marina Abramović, Olafur Eliasson, Shen Yuan und anderen internationalen Künstlerinnen und Künstlern sind nicht einfach ausgestellt – sie sind vor Ort entstanden, in Auseinandersetzung mit der Landschaft, mit der Geschichte der Region und auch aktuellen Themen wie Heldenverehrung oder die Flucht über das Mittelmeer.
Die Direktorin, Rocío Gutiérrez, studierte in Granada, arbeitete in Madrid – und ist nun zurück in Andalusien.
„Als Leiterin dieses Museums habe ich meinen Traumjob gefunden. Hier habe ich nicht nur die Möglichkeit, Kunstwerke auszustellen, sondern am künstlerischen Schaffensakt teilzuhaben. Das schafft eine sehr tiefe Verbindung zu den Künstlern und ihren Werken. Aber genauso wichtig ist für mich die Vermittlung. Viele Menschen, auch Kinder, erleben in Montenmedio ihre erste Begegnung mit zeitgenössischer Kunst. Das sind magische Momente.“
Rocío Gutiérrez, Direktorin der NMAC-Stiftung
Conil de la Frontera und die Thunfischtradition
Conil de la Frontera zeichnet sich durch kilometerlange Sandstrände und einem malerischen alten Ortskern aus. Früher lebte der Ort fast ausschließlich vom Fischfang und der Fischverarbeitung. Bei der traditionellen Thunfischjagd „Almadraba“ werden die Fische in einem kunstvollen Labyrinth von Netzen zusammengetrieben, wo sie von Männern in kleinen Booten gejagt werden. Der Thunfisch aus der Almadraba gilt als Delikatesse und wird heute vor allem nach Japan für Sushi exportiert.
Thunfischmuseum La Chanca
In der ehemaligen Fischfabrik „La Chanca“ wurde 2024 das Museum für die Geschichte der Thunfischverarbeitung wiedereröffnet, mit modernisierter und neu gestalteter Ausstellung. Die Geschichte der Almadraba wird eindrucksvoll dokumentiert: mit historischen Werkzeugen, Modellen, Wandgemälden mit Jagdszenen und die originalen Hallen mit den Salzlagern zur Fischkonservierung. Historische Fotos von Schlafbaracken und Frauen am Fließband zeigen, dass Fischfang Schwerstarbeit für Männer und Frauen bedeutete. Der Thunfisch ging damals per Zug vor allem nach Madrid.
Ein guter Ort, um Thunfischspezialitäten zu genießen, ist das Restaurant Tragaluz (von der Autorin ausprobiert). Es steht für eine moderne andalusische Küche. Alle Gerichte sind glutenfrei. Neben Fisch- und Fleischspezialitäten werden auch vegetarische und vegane Speisen angeboten.
Patios von Conil: Private Oasen
In Conil wird jedes Jahr der „Concurso de Patios y Rincones“ ausgetragen, dem Wettbewerb der schönsten Innenhöfe („Patio“). Die Patios dienen nicht nur als Zierde, sondern auch als Rückzugsort und grüne Klimaanlage. Pflanzen, Brunnen, Keramiken und Sitzgelegenheiten machen sie zu kleinen Oasen. Zum Wettbewerb öffnen viele Anwohnerinnen ihre Höfe für Besucher.
Ein Hotel wie ein Garten: Cortijo Fontanilla
Der Cortijo Fontanilla wirkt auf den ersten Blick gar nicht wie ein Hotel, sondern wie eine große, private Gartenanlage. Zwischen Palmen, Eukalyptus, Agaven und blühenden Rosen verteilen sich rund 30 Suiten auf mehrere Gartenhäuser. Dazwischen duften Zitronenbäume, Rosen und Eukalyptus. Brunnen sprudeln, und der kleine Pool lädt zur Erfrischung ein. Die Unterkünfte sind individuell mit Antiquitäten eingerichtet. Frühstück gibt es nebenan bei Pepe.
Die ersten Gäste kamen im Juli 1965 aus Dortmund. Der heutige Hoteldirektor, Juan Cristóbal von Knobloch, pflegt den Kontakt bis heute. „Unsere Stammgäste gehören zur Familie. Letztens wurde ich von den Kindern ehemaliger Gäste sogar zur Hochzeit nach Sylt eingeladen“, erzählt er. Gegründet wurde die Anlage von seinem Vater, einem Innenarchitekten aus Zentralspanien mit deutschen Wurzeln. Das Konzept einer Hotelanlage, die die Privatsphäre der Gäste schützt und es ihnen ermöglicht, sich selbst zu versorgen, war damals noch völlig neu. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters übernahm der jetzige Eigentümer Juan Cristóbal im Alter von 15 Jahren. Die dritte Generation steht bereits in den Startlöchern: Alle drei Kinder studierten auswärts und kehrten zurück, um im Familienbetrieb mitzuarbeiten.
„Wir wollten nie ein klassisches Hotel sein. Die Idee war immer, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen zur Ruhe kommen, mit Garten, mit Raum für sich. Es ist schön zu sehen, wenn jemand zum fünften Mal wiederkommt und sagt: Das riecht hier wie früher.“
Juan Cristobal von Knobloch, Hoteldirektor
Andalusische Küche bei Pepe Ramírez
Pepe Ramírez ist in Conil aufgewachsen, hat dann jedoch viele Jahre auf den Kanaren gearbeitet, bevor er sich seinen Traum verwirklichen konnte: ein eigenes Restaurant in seinem Heimatort. Mit dem Restaurant „La Costa“ hat er ihn wahrgemacht.
Restaurant „La Costa“, cl. Hijuela de Lojo, 11, Conil (von der Autorin ausprobiert)
Stolz präsentiert er einen „Borriquete“, einen „Eselsfisch“, den es nur in den Klippen der Umgebung gibt: „Schau, wie frisch er ist!“ Alles wird selbst zubereitet, von der traditionellen, kalten Tomatensuppe „Salmorejo“ bis zum Kuchen. Nur beim Wein setzt er nicht auf die Nachbarschaft, sondern auf kanarische Trauben, die auf Vulkanerde reiften. „Ich fahre selbst hin und helfe beim Stampfen der Trauben“, erzählt er. „So entstehen persönliche Kontakte, durch die ich an besondere Weine herankomme.“
„Beste Zutaten sind meine Leidenschaft. Mein Fischhändler liefert mir seit 30 Jahren nur die frischesten Fische. Das Brot aus Mais und Weizen kommt aus dem Dorf La Muela, die Mispeln aus Nachbars Garten. Und den Wein beziehe ich über persönliche Kontakte von den Kanaren."
Pepe Ramirez, Restaurantbesitzer
Ursula Pfennig arbeitet als freie Journalistin, Geografin und Autorin in Hamm. Auf Wanderungen – am liebsten weit und allein – bewahrt sie sich das Staunen über das vermeintlich Vertraute und das Neue. Spanien wurde ihr während Studien- und Forschungsaufenthalten zur zweiten Heimat. Ihre Erfahrungen gibt sie in Workshops und auf Schreibreisen weiter.
www.ursulapfennig.de