Bretagne / Côte de Granit Rose
Sentier des Douaniers: Orte wie aus einer anderen Welt
Einzigartig, atemberaubend, verzaubert … Es gibt kaum Worte genug, um die Schönheit der Rosa Granitküste zu beschreiben, die sich auf nur wenigen Kilometern im Norden der Bretagne erstreckt. Fantastische Felsgebilde türmen sich dort zwischen Wasser und Land, koloriert von einem zartroten Schimmer. Wer auf Tuchfühlung gehen will mit dieser besonderen Landschaft, tut dies am besten in Wanderschuhen. Und zwar auf dem Sentier des Douaniers, einem alten Zöllnerpfad.
Mit der Nacht hat sich auch die Flut davongemacht. Es scheint erst Augenblicke her, dass die Wasser des Ärmelkanals fast die gesamte Krümmung der Bucht ausfüllten, dass seine Wellen wie eine weiß gewandete Kavallerie Richtung Strandpromenade galoppierten und nur einen handtuchbreiten Streifen feinen Sandes von dem Ansturm verschonten. Seit das Hochwasser seinen Zenit erreichte, ist Minute um Minute verstrichen, und die Plage de Trestraou hat ganz langsam ihr Gesicht verändert. Eingefasst von hügeligen Landmassen, in deren Höhen die Häuser zwischen Kiefern und Palmen wie Vogelnester kleben, wurde der Strand mit dem Rückzug des Wassers breit und breiter. Die Ebbe wird letztlich eine feste sandige Fläche von beachtlicher Weite hervorzaubern. Und die Sonne wird sie trocknen. Spaziergänger und Jogger, Handtuchlieger und Schwimmer tauchen auf, und das Centre Nautique zieht für seine Schüler Katamarane, Kajaks und Surfbretter auf den makellosen Sand.
Doch noch ist es nicht so weit. Und es wird höchste Zeit, sich für ein ganz besonderes Unternehmen zu rüsten, solange in Perros-Guirec, dem hübschen Urlaubsstädtchen an der Nordküste der Bretagne, die Stille des frühen Morgens waltet. Die Plage de Trestraou liegt nämlich am berühmten „Sentier des Douaniers“, dem Zöllnerpfad, und ist idealer Einstiegsort für eine Wanderung auf diesem als Grande Randonnée 34 (GR34) bekannten Fernwanderweg, der, am Mont Saint-Michel beginnend, auf 2000 Kilometern rund um die Bretagne führt. Stets nah am Meeressaum und seine Nutzer mit immer neuen Küstenbildern beglückend.
Ein außergewöhnlich schönes Wegstück des GR34 begleitet die Rosa Granitküste, die sich auf spektakulären 16 Kilometern zwischen Perros-Guirec (genauer gesagt: dem militärischen Signalposten von Ploumanac’h) und Trébeurden erstreckt. Das Ziel für diesen Tag liegt deutlich näher: Es ist der Hafen von Ploumanac’h, dem einstigen Fischerdorf, das längst zur Gemeinde von Perros-Guirec gehört. Etwa fünf Kilometer sind zu bewältigen, wenn man sich vom westlichen Ende der Trestraou-Bucht auf den Weg macht – eine gut gangbare Strecke, für die sich dennoch robustes Schuhwerk empfiehlt. Hinter der Strandpromenade sagt ein Schild, wo’s lang geht: über die zwischen typisch bretonischen Häusern steil bergan kletternde Rue de la Clarté, die den Sentier des Douaniers in einer engen Kurve als schmalen Sandweg entlässt.
Ab hier folgt der Pfad dem Relief der Landschaft in einem sanften Steigen und Fallen, windet sich durch verschwenderisches Grün und vorbei an von Flechten bezogenem Stein, findet für Momente Schatten unter durch Baum und Busch gebildeten Blätterbögen, versteckt sich vor dem Seewind hinter Hecken, um gleich darauf den Blick in die Tiefe frei zu geben, wo das Meer an dem gewaltigen Geröllfeld bizarrer brauner Felsen leckt. Segelboote gleiten lautlos über das tiefblaue Wasser, während ein Ausflugsschiff dem dunstigen Horizont entgegensteuert, wo in zehn Kilometern Entfernung „Les Sept Îles“ liegen – ein Archipel karger unbewohnter Eilande, auf denen sich zur Brutzeit eine beeindruckende Zahl an Seevögeln – Basstölpel, Trottellummen, Papageientaucher und andere mehr – ihre Kinderstuben einrichtet.
Wie eine Ouvertüre mutet diese erste Hälfte unserer Wanderung an, wie die perfekte Einstimmung auf das Eigentliche, auf das, was noch kommt. Denn erst kurz hinter dem Parkplatz von Sémaphore beginnt an Land und auf dem Wasser das „Chaos granitiques“, das atemberaubende Durcheinander monströser, rötlich schimmernder Granitbrocken, dem die Côte de Granit Rose ihren Namen verdankt und das die Touristen zum Kommen animiert.
Kaum vorstellbar, dass es hier einmal Berge höher als die Alpen gab. In grauer Vorzeit war das, vor 300 Millionen Jahren. „Unter diesen Bergen füllte heißes und zähflüssiges Magma eine große unterirdische Kammer“, hatte Laury Bonnet vom Tourismusbüro Perros-Guirec erklärt. „Das Magma kühlte sehr langsam ab und kristallisierte, wodurch Granit entstand.“ Und der sei nach der Erosion der Berge an die Oberfläche getreten. Von nun an hatten die Elemente leichtes Spiel und schufen mit ebensoviel Ausdauer wie Talent diese Wunderwelt variierender Rosatöne: haushohe glattpolierte steinerne Solitäre neben phantastischen Gebilden aus der Trickkiste von Mutter Natur, deren Gestalt manchmal nur grob zusammengeschoben, dann wieder so vorsichtig und grazil geschichtet und positioniert scheint, als wäre ein Meister im Mikado-Spiel am Werk gewesen.
Die Vegetation längs des Pfades ändert kaum spürbar ihr Gesicht. Bunt blühendes Heidekraut und Stechginster, filigrane Farne, Feldthymian und dornige Brombeerranken überziehen die geschützte Halbinsel von Ploumanac’h und füllen den Raum zwischen den Granitbrocken, die sich auf wundersame Weise zu vermehren scheinen. Die manchmal wie Muscheln, Flaschen oder Totenköpfe aussehen und ebensolche Namen tragen.
Dass man gerade hier auf historischem Boden steht, wird einem spätestens dann bewusst, wenn der Weg die Ruine einer Poudrière passiert, in der bereits im 17. Jahrhundert das Kanonenpulver für die Verteidigung der Küste lagerte. Ab 1791 patrouillierten in Ploumanac’h wie auch an anderen strategischen Orten auf eigens angelegten Wegen Wachposten entlang der Küste. Bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter. „Sie hatten Schiffbrüchige zu retten und das Plündern gestrandeter Schiffe durch Einheimische zu verhindern“, so Laury. Besonders aber galt es, den lukrativen Schmuggel zu unterbinden und das Zahlen von Steuern zu sichern.
Ganze 40 Jahre dauerte ab 1968 die Anlage des GR34, der die alten Zöllnerpfade nutzte und verband. Und so sind heute dort, wo einst Schmuggler versuchten, heimlich kostbares Salz außer Landes zu schaffen und im Gegenzug Stoffe wie Tabakwaren aus England einzuführen, Touristen unterwegs. Recht viele zuweilen, denn der Sentier des Douaniers ist längst kein Geheimtipp mehr.
In Ploumanac’h wird gestaunt und fotografiert und allerhand in das Aussehen der Steinriesen hineininterpretiert, während sich der Wanderpfad unermüdlich weiterschlängelt – vorbei am Leuchtturm von Mean Ruz, der, Ton in Ton, über einem rosa Felsenmeer schwebt, vorbei am Maison du Littoral, dessen Ausstellung zur Geschichte und Geologie der Region ein Reinschauen lohnt, und vorbei an der Chapelle du Diable, der Kapelle des Teufels, die nie Kirche, immer nur Bootsschuppen war, auch wenn die einschüchternden Wasserspeier als Dachschmuck etwas anderes vermuten ließen.
Nicht mehr weit, bis der Weg das Dorf Ploumanac’h erreicht und kurz vor seinem Hafen am Strand von Saint-Guirec pausiert. Es ist Ebbe. Dort, wo sonst Meer ist, steht die Statue des Heiligen Guirec in ihrem Bethaus nun auf dem Trockenen. Granitbrocken liegen wie gestrandete Wale auf der Wattfläche, verteilen sich, türmen sich übereinander, sind einfach überall. Die Sonne versetzt das Zauberreich der Bucht in einen Farbenrausch: gelb der Sand, blau die See, die nur in Pfützen zurückgeblieben ist, hellgrün die Algenpolster auf dem nackten Meeresgrund. Und dunkelgrün die Nadeln der Seekiefern, die wie ein Tuff die neogotischen Mauern von Schloss Costaérès einhüllen, das etwas weiter draußen, einer Theaterkulisse gleich, auf einem rosa Steinhaufen ruht.
Der Aufbruch fällt schwer. Die Wanderung geht weiter. Und auch der Rückweg steht noch an. Aber man kann ja wiederkommen. An einem anderen Tag. Vielleicht abends. Bei Flut. Zum Essen in einem der beiden Hotelrestaurants am Strand. Wenn das Meer die ganze Bucht ausspült und das Château auf seinem Inselchen im Wasser treibt, während hinter seinen Türmen die Sonne versinkt.
Text und Fotos: Sabine Mattern
Informationen
Reisezeit
Ideal sind die Monate Mai, Juni und September.
Unterkunft
Grand Hôtel in Perros-Guirec: 4-Sterne-Haus mit Casino in der Trestraou-Bucht. www.grandhotel-perrosguirec.com
Hotel Saint-Guirec in Ploumanac’h: 2-Sterne-Haus in idyllischer Lage (neben dem luxuriösen Hotel Castel Beau Site) am Strand von Saint-Guirec. www.hotelsaint-guirec.com
Zöllnerpfad
Im Hochsommer und an Wochenenden wird es voll! Eine Wanderung von Perros-Guirec nach Ploumanac’h empfiehlt sich früh morgens oder abends (So planen, dass man noch im Hellen zurück ist!).